Schlafberatung
Inhaltsverzeichnis
Willst du gerne mehr über das kindliche Schlafverhalten erfahren? In der folgenden Schlaftheorie wirst du viel Interessantes erfahren. Viel Spass beim Entdecken!
Kommt ein Baby zur Welt, hat es noch keinen Schlafrhythmus. In den ersten Lebenswochen lernt es, am Tag mehrheitlich wach zu sein und in der Nacht längere Zeit am Stück zu schlafen. Dies ist eine große Anpassungsleistung für die Kinder. Die meisten bewältigen diese Entwicklungsaufgabe problemlos. Ein Drittel der Kinder bekunden aber Schwierigkeiten und zeigen im Verlauf ihrer Entwicklung eine Schlafstörung.
Schlafverhalten im Kindersalter
Das 2-Prozessmodell der Schlafregulation
Wissenschaftler haben zwei biologische Prozesse beschrieben, welche den Schlaf und das Wachsein bei Kindern und Erwachsenen steuern:
- die “Innere Uhr” (zirkadianener Prozess)
- den Schlafdruck (Schlafhomöostase).
1. Die “Innere Uhr” (zirkadianer Prozess, zirkadianer Rhythmus)
Circadian bedeutet lateinisch: circa = ungefähr, dies = Tag. Der zirkadiane Prozess ermöglicht es dem Kind oder Erwachsenen, am Tag wach zu sein und in der Nacht zu schlafen. Die “Innere Uhr” steuert neben dem Schlaf-Wach-Rhythmus viele weitere Körperfunktionen.
Bei vielen Kindern und Erwachsenen ist der zirkadiane Rhythmus oder die “ungefähre Innere Uhr” nicht genau 24 Stunden lang. Dauert die “Innere Uhr” länger als 24 Stunden, sind die Kinder abends nicht zum erhofften Zeitpunkt müde, sondern möchten länger wach bleiben. Man nennt sind Abendkinder oder Eulen. Die meisten Menschen sind «Eulen».
Ist die “Innere Uhr” bei einem Kind oder Erwachsenen eher kürzer als 24 Stunden, werden sie zwar abends rasch müde und gehen oft auch gerne schlafen, dafür werden sie morgens oft früher wach als gewünscht und wollen aufstehen. Im Volksmund werden sie als Morgenmenschen oder «Lerchen» bezeichnet. Dieses Verhalten ist angeboren und nicht selten vererbt.
Diese ungefähre “Innere Uhr” wird täglich mit der exakten äußeren Zeit synchronisiert. Der wichtigste äußere Zeitgeber ist das Tageslicht. Andere Zeitgeber sind Ernährung, Pflege, spielen, Geräusche, soziale Kontakte, regelmäßige Tagesaktivitäten wie spazieren gehen, etc. Die “Innere Uhr” ist bereits nach der Geburt funktionstüchtig und baut sich im Laufe der ersten Wochen auf. Ein Rhythmus kann also bereits nach der Geburt eingeführt werden.
2. Der “Schlafdruck” oder die Schlafhomöostase
Während des Wachseins häuft sich eine Schlafschuld an, d.h. Schlafbereitschaft und Schlafdruck nehmen so weit zu, dass ein Kind oder ein Erwachsener einschlafen kann. Oder anders gesagt, je länger ein Kind wach ist, desto müder wird es und der “Schlafdruck” nimmt zu, bis es einschlafen wird. Bei einem Neugeborenen ist dieser Schlafdruck noch nicht ausgereift. Wenn ein Neugeborenes lange wach gehalten wird, wird es trotzdem danach nicht länger schlafen.
Erst nach etwa 6 Monaten kann man den Schlaf eines Kindes zu einem gewissen Maß durch längeres Wachhalten beeinflussen. Beispiele:
a) Ein Kind kann abends länger wach gehalten werden, damit es schneller einschläft.
b) Eltern können den Tagschlaf kürzen, damit ihr Kind nachts länger schlafen kann.
Zusammenfassung
Der kindliche Schlaf wird über zwei Prozesse gesteuert:
- Die “Innere Uhr” gibt dem Kind den Tag-Nacht Rhythmus vor.
- Der Schlafdruck eines Kindes beeinflusst das Einschlafen und Durchschlafen (ab 6 Monate).
Entwicklung der Schlafregulation im Kindesalter
“Durchschlafen ist ein wichtiger Meilenstein in der frühkindlichen Entwicklung und wird im Wesentlichen von der Inneren Uhr und der Schlafhomöostase (Schlafdruck) bestimmt” (S. 312).
In den ersten paar Monaten empfehlen wir einen regelmäßigen Tagesablauf, um die “Innere Uhr” einzustellen.
Wie lange soll mein Kind schlafen? – Individueller Schlafbedarf
Viele Erwachsene brauchen zwischen 7 und 8 Stunden Schlaf. Es gibt aber Erwachsene, die mit vier Stunden Schlaf auskommen, andere brauchen 10 Stunden, um gut zu funktionieren. Diese Schlafdauer ist oft vererbt, individuell und nicht veränderbar. Dies ist bei Babys ähnlich. Es gibt Babys, die 20 Stunden Schlaf pro 24 Stunden brauchen. Andere Gleichaltrige schlafen nur 14 Stunden und sind am Tag zufrieden und spielen. Dies ist von Kind zu Kind sehr unterschiedlich. Je älter ein Kind wird, desto weniger Schlaf braucht es. Kinder, die viel Schlaf brauchen, brauchen oft auch als Erwachsene viel Schlaf und umgekehrt.
Ein Kind kann aber nur so viele Stunden pro 24 Stunden schlafen, wie es seinem Schlafbedarf entspricht.
Muss das Kind mehr Zeit im Bett verbringen, ist folgendes möglich:
Es schläft abends verspätet ein.
Es erwacht am Morgen früh.
Es ist nachts längere Zeit oder mehrfach wach (S. 313).
Figur1 aus Oskar Jenni. Die kindliche Entwicklung verstehen, Springer Verlag, Heidelberg / Berlin, 2021
Beispiel
Paula ist ein 18 Monate altes Mädchen. Früher hat sie durchschnittlich 14 Stunden geschlafen, jetzt kann sie pro 24 Stunden nur noch 12 Stunden schlafen. Sie schläft nachts 10 Stunden und am Tag 2 Stunden.
Die Eltern wollten aber, dass sie abends 2 Stunden früher ins Bett geht, damit sie als Ehepaar noch etwas Zeit haben. Ihre Eltern erwarten von ihr, dass sie nachts wie früher von 19:30 – 7:30 Uhr, also 12 Stunden schläft. Paula hat neuerdings nächtliche Wachphasen von insgesamt 2 Stunden. Die erwartete Schlafdauer ist 2 Stunden länger als ihr Schlafbedarf.
Die Eltern haben dann die Bettzeit dem Schlafbedarf angepasst. Seither ist Paula nachts nicht mehr längere Zeit wach.
Tag- und Nachtschlaf
Je älter Babys und Kinder werden, desto weniger häufig und lange brauchen sie Tagschläfchen. “Kinder sollten tagsüber so viel schlafen, damit sie im Wachzustand zufrieden und an ihrer Umgebung interessiert sind” (S. 124).
Selbständiges Einschlafen
Abendroutinen und Einschlafhilfen helfen Kindern einzuschlafen.
Abendroutine
Eine Abendroutine beinhaltet abendliche Aktivitäten, die vor dem Einschlafen stattfinden. Abendroutinen sind wichtige Zeitgeber für die “Innere Uhr” und vermitteln dem Kind Sicherheit und Geborgenheit.
Beispiele für zwei unterschiedliche elterliche Verhaltensweisen:
a) Ungünstige Abendroutine
Bei einer ungünstigen Abendroutine begleiten die Eltern ihr Kind in den Schlaf. Die 9-monatige Lisa schläft wiegend im Arm ihrer Mutter ein. Die schaukelnden Bewegungen und die Nähe zur Mutter gehören zu ihrer Abendroutine. Danach wird Lisa vorsichtig schlafend ins Bettchen gelegt. Nach zwei Stunden wird sie wach und findet sich in einer veränderten Situation vor. Anstatt im Arm der Mutter, liegt sie nun allein im Bettchen. Um die gewohnte Einschlafsituation wieder zu erhalten, weint sie, bis die Mutter kommt und sie auf den Arm nimmt.
Die körperliche Nähe zur Mutter wird beim Einschlafen für das Kind zu einer Gewohnheit, die es vielleicht nicht so bald wieder aufgeben will. Bei einem solchen Einschlafverhalten kommen Einschlafstörungen und Durchschlafstörungen häufiger vor.
b) Günstige Abendroutine:
Der 8-monatige Liam kann alleine einschlafen.
Seine Mutter legt ihn wach ins Bettchen. Sie streichelt Liam sanft, singt ein Schlaflied, verabschiedet sich und verlässt ihn kurz vor dem Einschlafen. Bei ihm gehört das “alleine wach im Bett liegen” zu seiner Abendroutine. Liam ist beim Einschlafen allein im Zimmer. Nach zwei Stunden wird er wieder wach. Er erlebt die gleiche Situation wie vorher. Meist schläft er wieder ein, ohne sich bemerkbar zu machen.
Einschlafhilfen
Einschlafhilfen sind zum Beispiel Daumenlutschen, Schnuller, Übergangsobjekte wie Schnuffel-Tüchlein oder Teddybär. Sie sind sozusagen ein Mutterersatz auf Zeit und geben dem Kind Geborgenheit.
Schlafzyklus
Erwachsene haben einen zyklischen Schlaf. Ein Zyklus dauert etwa 90 bis 110 Minuten und wird pro Nacht vier- bis siebenmal durchlaufen. Dabei durchläuft der Schläfer vier Phasen: die Einschlafphase, den oberflächlichen Schlaf, den Tiefschlaf und den Traumschlaf, auch REM Schlaf genannt. Nach jedem Zyklus wird er kurz wach, meist ohne sich am Morgen daran zu erinnern.
Babys und Kinder haben ähnliche, aber etwas kürzere Schlafzyklen von 50 bis 60 Minuten Dauer.
Wenn ein Kind abends selbständig einschlafen kann, kann es auch nachts oft wieder ohne die Hilfe der Eltern einschlafen. Es verbindet mehrere Schlafzyklen miteinander und kann so mehrere Stunden durchschlafen.
Wenn ein Kind nur mit Hilfe der Eltern einschlafen kann, braucht es häufig auch nachts die Hilfe der Eltern beim Wiedereinschlafen und weckt diese (siehe Graphik).
Figur 2 aus Oskar Jenni und Caroline Benz. Schlafstörungen. Pädiatrie up2date 2007; 4: 309-333
Vom Schlafverhalten zur Schlafstörung
Normales Schlafverhalten ist sehr vielfältig. Es unterscheidet sich bereits individuell und wird zusätzlich von familiären und kulturellen Gewohnheiten geprägt. Eine kindliche Schlafstörung liegt dann vor, wenn die Eltern durch das nächtliche Verhalten (Aufwachen, Schreien usw.) ihres Kindes gestört sind. Die Eltern haben zu wenig Schlaf, sind weniger leistungsfähig und in ihrem Wohlbefinden in hohem Maße beeinträchtigt.
Beispiele von Schlafstörungen
Beim Neugeborenen:
- 3-Monats-Koliken oder Probleme der Schlaf-Wach-Organisation.
- Säuglinge schreien abends oft sehr lange. Dies scheint im Zusammenhang mit der Reifung der “inneren Uhr” und des “Schlafdrucks” zu stehen und verbessert sich oft nach 3 Monaten.
Beim Säugling und Kleinkind nach dem 6. Lebensmonat:
- Einschlafprobleme und Durchschlafprobleme.
- Rhythmische Bewegungen des Kopfes oder des Körpers beim Einschlafen und Aufwachen.
- Nachtschreck oder Nachtwandeln.
Im Schulalter:
- verschwinden die Durchschlafstörungen.
- Es kommt aber entsprechend zu Widerständen bei den Bettvorbereitungen.
- Die Kinder können nicht einschlafen.
- Nachtwandeln.
3-Stufen Beratungskonzept im Säuglings- & Vorschulalter
Zürcher 3-Stufen-Beratungskonzept
Das Kinderspital Zürich hat ein 3-Stufen-Beratungskonzept für Kinder mit Schlafstörungen entwickelt. Grundlagen sind die Schlaf-Biologie und die große Variabilität zwischen den Kindern. Sobald die Eltern auf das individuelle Schlafverhalten ihrer Kinder eingehen, verschwinden die Schlafprobleme häufig.
- Einführen eines regelmäßigen Rhythmus.
- Anpassen der Bettzeit an den individuellen Schlafbedarf.
- Erlernen von selbständigem Einschlafen durch graduelle Annäherung.
Die Eltern erfassen das Schlafverhalten ihres Kindes über 14 Tage mit dem 24-Stunden-Protokoll.
Durch eine konsequente Erziehungshaltung über mindestens 2-3 Wochen können Schlafprobleme vermindert und festgefahrene Einschlafgewohnheiten verändert werden.
Schrittweise wird Stufe 1 bis 3 durchlaufen.
Graduelle Annäherung
Das selbständige Einschlafen kann schrittweise erlernt werden. Die Eltern und das Kind werden langsam an ein neues Einschlafverhalten herangeführt. Die sogenannte graduelle Annäherung ist eine verhaltenstherapeutische Maßnahme.
Eltern überlegen sich:
“Welche Verhaltensänderung der Eltern in Richtung selbständiges Einschlafen ist für das Kind zumutbar” (S. 318)?
Das Vorgehen in kleinen Schritten erlaubt dem Kind und den Eltern gleichermaßen, in einem für sie erträglichen Tempo vorzugehen.
3-Stufen-Beratungskonzept im Schulalter
- Regelmäßige Einschlaf- und Weckzeiten einführen.
- Anpassen der Bettzeit an den individuellen Schlafbedarf.
- Einführen einer Abendroutine.
Schulkinder klagen häufig über abendliche Einschlafschwierigkeiten, weil sie zu früh ins Bett gehen und noch nicht genug müde sind. Das stufenweise Vorgehen und eine leichte Schlafrestriktion über eine kurze Zeit sind meistens zielführend.
Danksagung & Quelle
Vielen Dank an dich Frau Dr. med. Caroline Benz. Dieser Teil Schlaftheorie ist aus eurem Artikel, aus vielen Diskussionen und deinen Korrekturen entstanden. Vielen Dank an dich Frau Dr. med. Rabia Liamlahi. Du hast sehr viel Zeit in die Entwicklung unserer App investiert und uns wissenschaftlich begleitet. Vielen Dank an sie Herr Prof. Dr. med. Oskar Jenni. Vielen Dank, dürfen wir für unsere App das Zürcher 3-Stufen-Beratungskonzept übernehmen. Danke, dass sie und ihr Team uns von Anfang an unterstützt und begleitet haben. Ohne sie wäre unsere App nicht so herausgekommen.
Danke, dürfen wir ihre Publikationen und Grafiken verwenden.
Quellen
Falls nur eine Seitenzahl angegeben ist, z.B. (S. 309), gilt folgende Quelle:
Pädiatrie up2date 2007 /4 /309 – 333 / DOI 10.1055/s−2007−966893
Schlafstörungen/ Oskar Jenni, Caroline Benz.